Warum wir Online Stellen-Portale abschaffen sollten? Und was eine Wildwasserbahn damit zu tun hat.

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Hier bei uns gibt es eine Tradition die alle Kinder mit einer sog. „Martinsbrezel“ versorgt. Ob die Brezel nun als Zeichen der Nächstenliebe galt und so zur Martinsbrezel wurde, oder einfach aus kultischen Ritualen übernommen wurde, lässt sich allerdings nichtmehr einwandfrei klären. Einer Bekannten mit ihren 3 Kleinkindern wurde die – Tage vorher bereits bestellte und bezahlte – Brezel allerdings zunächst verwehrt. „Die verden erst verteilt, wenn das Martinsfeuer brennt“. Das die kleinste noch keine zwei Jahre alt war und ganz traurig nach der leckeren Brezel schaute, rührte den christlichen Mitarbeiter nicht. Die Brezeln gab es erst als das Feuer brannte und gefühlte 100 Menschen neben der Frau standen und sie und die Kinder beiseite drückten …
Ich möchte die Geschichte als Überleitung zu meinem aktuellen Text verwenden … 

„so 10 – 12 Wochen“ lautete die Antwort des HR- Verantwortlichen auf die Frage, wie lange sein Unternehmen im Schnitt benötigt um Bewerbern eine Rückmeldung zu geben.

Natürlich nutzen die meisten (auch wir) eine erste „automatisierte“ Eingangsbestätigung.
Das sehe ich allerdings als Pflichtprogramm, damit der Kandidat überhaupt weiß,
das überhaupt etwas passiert.
Darum geht es aber nur zum Teil. Es geht hier um wertschätzende Informationen dem Menschen gegenüber, der sich für unser Unternehmen interessiert bzw. für dieses Unternehmen tätig werden möchte.
Bitte lassen sie uns nochmal kurz in Ruhe darüber nachdenken…
Jemand nimmt sich die Zeit, und trifft eine Entscheidung die sein gesamtes zukünftiges Leben beeinflussen kann. Diese Entscheidung beinhaltet, sich in vollem Bewusstsein für eine neue (mögliche) Aufgabe zu entscheiden. Mit allen Folgen und Verantwortungen die sich daraus ergeben. Meist ist das (sofern es nicht die100ste Bewerbung ist) ein bewusster Akt in den viel Herzblut, Zeit und Gedanken einfließen.

Da ist es doch nur fair, dass wir uns im Umkehrschluss etwas Zeit nehmen um zu Antworten. Und sei es nur um mitzuteilen:
„Ja, wir möchten sie gerne kennen lernen“ oder „Nein, momentan passen sie nicht“.

Sollte uns der Mensch hinter den Unterlagen so gut gefallen, oder wir
die ein oder andere offene Frage haben, können wir sogar zum Telefon greifen.
(Wir alle können hier immer besser werden und uns um den Menschen hinter dem Lebenslauf bemühen.)

Über Bewerbungen kann so ziemlich jeder in Deutschland etwas erzählen. Man weiß eigentlich nie, wo man steht. In dem Zeitraum zwischen „Unterlagen versendet“, „Eingangsbestätigung“ und allem was evtl. danach kommt, ist eigentlich ein luftleerer Raum.
Ist man noch im Rennen, wurde man intern bereits abgelehnt? Irgendwie fühle ich mich immer in die Vergangenheit versetzt und muss an meine Ausflüge ins Phantasialand und an die Wildwasserbahn denken. „ab hier, noch 30 min“ stand dort auf Bildschirmen.
Und nebenher liefen dort immer ganz tolle Zeichentrickfilme um die Wartezeit zu verkürzen.
Man wusste wo man dran ist, und wie lange es noch dauert bis es los geht. Als wir vor einigen Jahren in Amerika waren, hat sich sogar ein Angestellter bei den Wartenden entschuldigt,
weil es so lange dauerte und hat Wasser und Gummibärchen verteilt. Wie lange kommen uns die Wartezeiten im Supermarkt und im Stau vor, oder wenn der (Windows)-Rechner morgens erst noch hoch fahren muss. (PS: wie es schneller im Supermarkt gehen soll, beschreibt der NDR hier http://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Supermarktkasse-So-gehts-schneller,supermarktschlange100.html)
156 Stunden pro Jahr verbringen die Deutschen übrigens wartend vor dem Computer – immerhin mehr als sechs Tage.
Eine Allensbach-Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass 43 Prozent der Deutschen das Warten als Stress empfinden. „Stress“. Oft geht das einher mit Agressivität und Hilflosigkeit.
Und das alles nehmen wir in Kauf, wenn wir Menschen warten lassen, die gerne in „unserem“ Unternehmen arbeiten möchten. Die sich also die Zeit genommen haben, unsere „internen Stellenportale“ zu durchlaufen.

Da gibt es promovierte Menschen, die tragen sich geduldig in seltsam anmutende Fragebögen der Portale ein, die sich das Unternehmen sicher extern teuer eingekauft hat,
nur um dann (mit Glück) eine standardisierte Eingangsbestätigung zu erhalten und dann evtl über Wochen/Monate gar nichts mehr vom Unternehmen zu hören.

Nur 26 Prozent der Deutschen erzählen regelmäßig positive Erfahrung weiter.
47 Prozent der Deutschen erzählen anderen Menschen regelmäßig von schlechten Erfahrungen, und das ca. 6x häufiger.

Das Weitererzählen schlechter Erfahrungen kann fatale Folgen haben, wie das folgende Rechenbeispiel zeigt:
Nehmen wir an, sie haben pro Jahr 1.000 Bewerbungen. Nehmen wir weiterhin an, dass 70 Prozent davon eine zufriedenstellende, ehrlich gemeinte Antwort auf Ihre Bewerbung erhalten und dies einmal weitersagen. Damit hätten wir 700 positive Meldungen. 10 Prozent der 1.000 sind von der Reaktion des Unternehmens regelrecht begeistert, weshalb sie dies zweimal weitererzählen. Das macht nach Adam Riese 2 x 100 = 200 positive Meldungen. Jedoch: Zusammengezählt können diese 900 „Likes“ die restlichen 20 Prozent unzufriedene Kunden nicht „aufwiegen“. Denn 200 Bewerber, die ihren Ärger sechsmal weiter erzählen, machen zusammen 1.200 Negativaussagen über ein Unternehmen.

Fazit: „20 % unzufriedene Bewerber können schwerer wiegen als 80 % Zufriedene.“

Ich plädiere hier nicht für Heuchelei gegenüber den Bewerbern. Wenn jemand nicht passt, dann passt er nicht. Und der Gesetzgeber macht es bei unserem aktuellen Gleichstellungsgesetz den Unternehmen bei Absagen auch nicht einfach. Ich kenne allerdings, aus unseren letzten knapp 6 Jahren Erfahrung und vielen tausend Gesprächen, nicht einen Menschen der sich über ein ehrliches Feedback beschwert hat bzw. sogar geklagt hat.

Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen – es geht um Menschen.
Kaufen wir Maschinen oder Autos, verbringen wir mehr Zeit bei der Auswahl. Neben dem Wert des Menschen an sich, kostet ein solcher Mitarbeiter teilweise viel mehr. Rechnen Sie einmal ein durchschnittliches Gehalt aus: Rechnen wir mal mit 80.000€/Jahr (den Arbeitgeberanteil mit eingerechnet), in 15 Jahren (ohne Steigerungen wie Renten, Versicherungen und mehr). Geschätzt insgesamt 1,2 Mio €. Und da schlampen wir? Da treffen wir Entscheidungen nach fünf Minuten Bewerbung lesen? Einen Menschen einstellen, kostet so viel wie drei Häuser hier im Westerwald.

All das lamentieren hilft nicht. Wie können wir es besser machen?
„Wenn nicht die liebe Zeit wäre und ich sonst noch so viel zu tun hätte.”
“Ich kann nicht alleine entscheiden.”
“Manchmal weiß ich einfach nicht wo mir der Kopf steht“

Gibt es irgendeine Patentlösung, noch eine Technik, noch eine Software??? Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn wir uns etwas bewusster mit dem Menschen hinter dem CV befassen und uns mental immer mal wieder auf „die andere Seite der Bewerbung begeben“, schon viel erreicht ist. Ein kurzer Griff zum Hörer, ein paar kurze (nicht standardisierte) Zeilen.
Ein ehrlich gemeintes „Alles gute“ oder der extra Weg in eine andere Abteilung.

Nehmen wir uns doch einfach vor, nur 3% besser zu werden bei dem was wir tun.
Wenn wir das alle tun, ist schon viel erreicht.

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