Wer gibt uns das Recht

Lesezeit: 6 Minuten

Ich bin die ganze Nacht schlafgewandelt.

Ich bin 11 Jahre und mit vielen anderen Kindern in einem Ferienzeltlager. Es hatte die Tage in Strömen geregnet. Deshalb sind wir mit über 50 Kindern übergangsweise in einer großen Halle untergebracht. Das ich schlafgewandelt bin, habe ich erst viele Jahre später von einem Freund erfahren (Danke Volker). Ich erinnere mich noch daran, dass es am nächsten Tag Hähnchen gibt und meine Eltern überraschend vorbeikommen um mich abzuholen, da mein Bruder gerade (im Alter von 7 Jahren) an einem Hirntumor gestorben ist.

Zeitsprung: 8 Jahre später sind wir nachts auf dem Rückweg in die Kaserne. Uns nimmt bei über 100 km/h jemand die Vorfahrt.  Als ich aufwache, liege ich in einem Bett und mein erster Blick geht auf ein schwarzes Holzkreuz an der Wand gegenüber. Bei dem Unfall gibt es 11 Schwerverletzte und einen Toten.

Ich komme mit einer gebrochenen Wirbelsäule davon und muss außerdem die Hälfte meines Darms im Krankenhaus lassen.

3 Monate später sollte ich mit 55kg aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Nur 1 Jahr später sterben zwei meiner besten Freunde nur wenige Kilometer entfernt.

Mein Therapeut sagte mir, ich solle aufhören zu versuchen, mehrere Leben gleichzeitig zu leben, denn es schien so, als wolle ich die Leben der Verstorbenen für Sie mitleben. Das klang plausibel für mich, und ist -immer noch- ziemlich anstrengend (für mich UND mein Umfeld). Trotzdem oder gerade deswegen bin ich zu dem Mensch geworden, der ich heute bin.

Früher hätte ich mich als chaotisch, hektisch, aufbrausend, unkontrolliert beschrieben.

Heute beschreibe ich mich “meistens” als glücklich.

Ich habe es einfach satt unglücklich oder schlecht gelaunt zu sein. Ich denke jeden Tag negative Gefühle, ertappe mich aber immer öfter dabei, und kann reagieren und die Macht übernehmen.

 

“Das Leben ist zu kurz um schlecht gelaunt zu sein”

Ich weiß, dass das nächste mal wenn ich die Augen schließe, alles vorbei sein kann. Ich weiß, dass ich meine Frau oder meine Kinder heute morgen zum letzten Mal gesehen haben könnte.

Das klingt jetzt negativ. Es hilft mir aber dabei,

das Leben immer öfter so zu leben und zu genießen wie es ist.

Jeden Moment, jede Begegnung, jedes Gespräch, jeden Gedanken und jedes Gefühl mit jeder Faser aufzunehmen und zu leben. Die schlechten Gefühle schnell zu verdauen und auszuscheiden und nur die behalten die mich glücklich machen.

Wir alle sind verantwortlich. Zuerst einmal sind wir verantwortlich für uns selbst. Alles andere ist eine freiwillige Entscheidung. Niemand kann uns zu irgendetwas zwingen. Darin liegt eine enorme Freiheit aber eben auch die entsprechende Verantwortung.

Alles was wir tun, erleben, sagen, hören, denken und fühlen. Alle diese Dinge interpretieren wir für uns.

Wir lassen alles Erlebte durch unsere Filter laufen und geben den Dingen eine Bedeutung.

Das Spannende daran ist, dass wir die Macht haben, die Dinge so zu interpretieren wie wir es wollen.

Wenn uns morgens auf dem Weg zur Arbeit jemand schneidet und uns zu einer Vollbremsung zwingt, können wir ihm entweder die Krätze an den Hals wünschen (was er aber sowieso nicht merkt) oder wir denken: “Interessant, wie sich manche Leute hetzten lassen”.

Wenn wir morgens für unsere Kinder einen Kakao machen und dabei zum gefühlt 10ten mal die Milch anbrennen lassen, können wir uns entweder als “dummen Vollidioten” titulieren, dem immer solche Dinge passieren oder eben nicht. Wir haben das Recht über jede Situation zu denken und zu reagieren wie wir möchten.

Vor ein paar Tagen war eine Freundin zu Besuch, die der Meinung ist ihr Chef würde sie schlecht behandeln. Sie nicht wertschätzen und ihr nicht den nötigen Respekt zeigen. Sie erwartet ( verständlicherweise) besser und respektvoller behandelt zu werden. Ein Recht darauf hat sie allerdings nicht. Sie bekommt für ihre Arbeit ein Gehalt und Urlaubsausgleich. Darauf hat Sie ein “Recht”, welches ja auch vertraglich festgehalten ist.

Unsere negativen Gefühle ergeben sich oft aus solchen Situationen. Wir erwarten Dinge von unseren Mitmenschen und der Welt, die sie nicht erfüllen oder die nicht eingehalten werden. “Aber ich habe doch das Recht fair behandelt zu werden!!!”

Nein, eben nicht. Das Leben ist nicht immer gerecht oder fair oder freundlich und nett.

Sie verabreden sich zum Essen um 19:00 Uhr und ihre Freundin kommt – wie jedesmal – 15 Minuten später.

Sie kommen seit 17 Jahren zur Arbeit und waren immer pünktlich, noch nie krank und erwarten, dass ihr Chef sie endlich für voll nimmt und sich endlich mal bei Ihnen bedankt.

Sie legen Ihren Kindern jeden Morgen die Sachen raus, machen jeden Morgen das Frühstück und lernen jeden Tag mit Ihnen und erwarten dafür gut gelaunte Frühaufsteher und Top Noten in der Schule.

Sie spielen jeden Samstag Lotto und gehen jeden Sonntag in die Kirche. Gewonnen haben Sie noch nie.

Wir alle erwarten Dinge von den Menschen und vom Leben. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, reagieren wir emotional.

Mein Sohn (er war damals 8) hat mir eine der wichtigsten Lektionen im Leben beigebracht. Als ich ihm in meiner großartigen Weisheit einmal erklären wollte, wie das mit den Wolken und dem Regen zustande kommt, war er einfach nicht interessiert und ich daraufhin beleidigt.

“Papa, das interessiert mich nicht”.

Ich dachte mir, “jetzt nehme ich mir schon mal die Zeit ihm das zu erklären, dann hat er doch gefälligst mal zuzuhören…” Oder nicht!?

Wer gibt mir das Recht?

Woher nehme ich die Berechtigung auch nur irgendetwas von meinem Kind zu erwarten… ?

Weil ich sein Vater bin? Weil ich das Geld verdiene? Weil er die Füße unter meinem Tisch stellt…?

Niemand gibt mir das Recht von meinem Sohn Interesse und Begeisterung über ein Thema zu erwarten,

dass Ihn nicht interessiert. Ich wollte gut vor Ihm dastehen mit meiner Erklärung, und mit meinem “ach so tollen” Wissen glänzen.

Am Besten sollte er all seinen Klassenkameraden und deren Eltern erzählen was für ein toller Hecht ich bin.

 

“Wer gibt uns das Recht irgendetwas von irgendjemandem zu erwarten?”

Wer gibt mir das Recht, zu erwarten,  dass mich meine Frau jeden Tag gut gelaunt und zuvorkommend mit Liebe überschüttet und mir jeden Wunsch von den Lippen abliest – nur weil wir verheiratet sind?

Wer gibt mir das Recht ein “Danke” von meinem Chef zu erwarten, weil ich der Meinung bin gute Arbeit zu leisten?

Wer gibt mir das Recht, zu erwarten nicht krank zu werden, nur weil ich jeden Tag Sport mache und mich gesund ernähre?

NIEMAND

Deine Erwartungen sind das was sie sind, “DEINE” Erwartungen. Die Erwartungen anderer sind die Erwartungen anderer.

Es lebt sich wesentlich einfacher mit diesen Gedanken und ich scheitere jeden Tag daran.

Tom und Meik begegnen sich im Treppenhaus und grüßen einander. Tom erwartet, dass Meik ihn grüßt, und Meik erwartet, dass Tom den Gruß erwidert.

Aber Tom muss auch erwarten, dass Meik erwartet, zurückgegrüßt zu werden, so wie Meik erwarten muss, dass Tom erwartet, zuerst gegrüßt zu werden.

Ohne Erwartungshaltung des jeweils anderen bleiben die eigentlichen Erwartungen von Tom und Meik unerfüllt.

Wollen Sie, daß sie jemand so behandelt wie “SIE” es von Ihm erwarten, oder wollen Sie, daß ihr Gegenüber ehrlich zu Ihnen ist. Beides geht nicht immer.

 

PS: Es würde mich freuen wenn Sie „Gefällt mir“ drücken,“kommentieren“ oder den Artikel teilen. Danke

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