Der Unsinn vom erfüllten Leben

Der Unsinn vom erfüllten Leben

(Lesezeit ca. 5 Minuten)

Wir beklagen uns unaufhörlich, daß unadjustednonraw_thumb_f1cbunserer Tage so wenige seien, und betragen uns trotzdem so, als ob sie nie enden würden.
-Seneca

“We don’t beat the Reaper by living longer. We beat the Reaper by living well.”
-Randy Pausch (1960-2008)

Die älteste Generation meiner Familie ist in der letzten Woche mit dem Tod meiner Großmutter im Alter von 94 verschwunden. Somit rückt die Verantwortung „der Ältesten“ nun auf meine Eltern.

Die Fragen, die nicht gefragt wurden. Die Dinge die nun in Vergessenheit geraten. Die Besuche, die nicht gemacht wurden. Die Geschichten, die nicht erzählt wurden… Viele von diesen Dingen rücken erst in den Fokus, wenn es zu spät ist.
Ganz egoistisch schaue ich auf meinen Jahreskalender. Dort steht eine 40.
Einige gute Freunde sind bereits gegangen. Die einen haben lange gelitten, die anderen wurden schnell „genommen“.
In der letzten Woche treffe ich beim Einkaufen einen Bekannten, den ich seit langem nicht mehr gesehen habe. Sie wissen wie das mit manchen Menschen ist.. Man sieht sie, und man kann selbst nach Jahren genau da ansetzen wo man damals aufgehört hat. Nachdem ich meiner Frau erzählt habe, wie sehr mich das Wiedersehen gefreut hat, erzählt sie mir das er Krebs hat.
Oft überrascht uns die gute Laune der Menschen, von deren schweren Krankheit wir wissen. Irgendwie erwarten wir wohl, das sie ein anderes Verhalten an den Tag legen.

Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht. (Epikur)

In meiner täglichen Arbeit habe ich meistens mit Menschen zu tun, die etwas verändern möchten (oder es müssen). Sei es ein neuer Job, der nächste Schritt auf der Erfolgsleiter (aufpassen das es nicht nur wie eine Leiter aussieht und in Wahrheit ein Hamsterrad ist). Unternehmen, die die richtigen Mitarbeiter suchen. Manager & Unternehmer die unzufrieden mit der Situation sind, in der Sie sich gerade befinden und sich alles ganz anders vorgestellt haben.
Ich habe meine Kinder vor einigen Wochen einmal wieder gefragt, was sie werden möchten. Mein Ältester (fast 10) möchte das tun was ich mache (was immer er auch darunter versteht ;-))
Tun sie mir einmal den Gefallen und fragen ihre Kinder (wenn vorhanden) oder Ihre Eltern, was sie meinen, was sie beruflich tun (spannend, sage ich Ihnen). Meine Tochter (fast 8) wollte bis vor kurzem noch „Tiere und Menschenärztin“ werden. Jetzt möchte sie einen Reiterhof besitzen und Pferdetrainerin sein. Unser Jüngster (5) will „Ninja“ werden oder Stallbursche bei meiner Tochter (je nachdem wie gut sie sich gerade verstehen).
Ich lese in Ratgeberliteraturen immer, wir sollen uns daran erinnern was wir als Kinder wollten und finde den Ansatz auch interessant. Wenn ich allerdings sehe und zähle, was meine Kinder alles machen wollten, wird es eng mit einem Leben.
Auf der anderen Seite, können wir jederzeit entscheiden,
was wir tun. Wir haben die Wahl und die Verantwortung. Anstelle der Frage „was wolltest du als Kind werden“ sollten wir uns lieber die Frage stellen „was willst du heute sein“.
Der Vorteil, den wir gegenüber unseren Kindern haben ist,
wir müssen nicht erst „werden“ und viele Jahre warten. Wir können gleich loslegen. Jaja, höre ich sie sagen. Das geht nicht so einfach. „Da hängt doch viel zu viel dran“. „Ich kann nicht einfach aufhören und etwas Neues beginnen“. „Ich habe eine Verantwortung meiner Familie gegenüber“. „Ich habe Verpflichtungen“. „Das muss gut überlegt sein“. Da muss ich erst einmal ein Buch darüber lesen“. „Was ist, wenn es schief geht?“ Was sollen denn XY (bitte einsetzen) denken“?, „das ist nicht so einfach“, „wenn ich fertig studiert habe“, „wenn ich genug Geld habe“, wenn ich verheiratet bin“, „im neuen Jahr“, „wenn die Kinder groß sind“, ….

Wir sollen unsere Vergangenheit aufarbeiten, sagen die Einen. Wir sollen unsere Zukunft planen und Ziele setzen, sagen die Anderen. Dann gibt es die, die uns raten, immer im „Hier und Jetzt“ zu leben und den Rest zu vergessen. Und die, die sagen „Sicherheit ist wichtig und wir sollen sparen für die Zukunft“. Und zuletzt noch ein paar Verrückte, die uns alles gleichzeitig und damit einen Widerspruch aufbürden wollen, der uns innerlich zerreißen kann.

Es gibt nur zwei Tage im Jahr, an denen man nichts tun kann. Der eine ist gestern, der andere ist morgen. Dies bedeutet, dass heute der richtige Tag zum Lieben, Glauben und in erster Linie zu leben ist. Dalai Lama

Vergangenheit, das Gestern: Ich habe einmal gelesen, das in der Vergangenheit zu leben so ist, als wenn man Auto fährt und den Wagen nur über den Blick in den Rückspiegel steuert. Wenn wir immerzu an das Schöne denken, das vergangen ist („an die guten alten Zeiten“), dann verpassen wir „die gute neue Zeit“. Denken wir immer nur an die Fehler die wir in der Vergangenheit begangen oder die Entscheidungen die wir nicht getroffen haben, ohne die Verantwortung für das hier und jetzt und für sich und sein Leben in der Gegenwart zu übernehmen, so geben wir das Bild eines Erwachsenen ab, der in einer vor Jahrzehnten vollgemachten Windel steckt.

Zukunft, das Morgen: „Morgen gibt es Freibier“ steht auf einem Schild in meiner Stammkneipe – immer. Wer immer auf das morgen wartet, auf das Wochenende, auf den nächsten Karrieresprung, den nächsten Urlaub, die Rente oder den Tod, der sieht den heutigen Tag immer nur als Zwischenstation.
Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance. -Viktor Hugo
oder John Lennon
Leben ist das was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.
Ich selbst hänge auch zu oft in der Zukunft fest, sehe überall grünere Wiesen und Dinge die ich verpassen könnte. Selten zufrieden, auf das Vergangene und das hier und jetzt schauend, immer das Neue suchend. Das führt dazu, sich nie „angekommen“ zu fühlen und selbst nach 11 „Berufen“, 28 verschiedenen Autos und 4 Firmengründungen immer noch neues zu suchen.

Das unser Tag, das ist unsere Zeit
Und sie fliegen nicht mehr an uns vorbei
Denn das ist der Moment
An dem du einmal hängst wenn du irgendwann zurückdenkst
-Die Toten Hosen

Das heute: „Lebe im hier und jetzt, denke nicht an gestern oder morgen“. Das Dach überm Kopf, die Pflege in der Krankheit und das Essen auf dem Tisch tauchen nun mal nicht spontan auf, nur weil wir sie brauchen. Selbst 3D Drucker müssen (Stand heute) noch mit irgendeinem Rohstoff betrieben werden. Das Heute muss bis zu einem gewissen grad geplant und dann auf Basis von Erfahrungen & Erinnerungen gelebt werden. Wenn ich krank bin, ist es hilfreich sich die Vergangenheit anzusehen (wie ist die Krankheit entstanden?) und die Zukunft (wie wird es besser?).

Ich meine, wir brauchen alle drei Zeiten. Ich werde hier sicherlich keine Ratschläge geben, welche Anteile an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft das richtige Maß darstellen. Ich bin mir für mich selbst noch nicht einmal klar.

Ein Gedanke zum Schluss:
Orientieren wir uns etwas an der Natur und den Jahreszeiten:
Es gibt Momente und Zeiten, in denen wir vermehrt zurück schauen sollten, auf die Erfahrungen und Erlebnissen der Vergangenheit. Momente, in denen wir uns damit auseinandersetzen, wohin die Reise gehen soll, und solche, in denen Gestern und Morgen fast gar keine Rolle spielen. Zeiten, in denen wir einfach die Elemente genießen und alles auf uns zukommen lassen.
Der Moment, in dem sich das tatsächliche Leben abspielt.
Leben heißt auch, diesen Rhythmus wahrzunehmen und darin “tanzen” zu lernen.

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