Was, wenn er einfach mal im Zug sitzen bleiben würde? Könnte er nicht einfach zurück fahren, seine Frau anrufen und nett mit Ihr Frühstücken gehen?
Den Zug nahm er, seit er immer häufiger den Gedanken hatte, bei 180 km/h einfach mal das Steuer in seinem Auto los zu lassen.Es war gerade mal Dienstag morgen und er hatte schon vollkommen die Kontrolle verloren.
Sein Handy hatte er abgestellt nachdem er die 13 unbeantworteten Anrufe gesehen hatte die in der Nacht auf die Mailbox gelandet sind. Manchmal kam er morgens vom Klo und hatte 3 Anrufe und 15 neue Mails. Die Hälfte hatte ein “URGENT”, “DRINGEND”, “ASAP”, in der Kopfzeile. Begrüßungsfloskeln oder “bitte, danke, Entschuldigung” gab es sowieso schon lange nicht mehr.
Durch den gestrigen Feiertag würden locker doppelt so viele Mails wie sonst in seinem Eingang liegen. Und dabei hatte der Tag hier in Europa noch gar nicht begonnen.
Seit Monaten ging das nun bereits so. Seit seinem letzten “kleinen stolperer” – so hatte sein Chef seinen letzten Schwächeanfall vor versammelter Mannschaft genannt.
Immer häufiger hatte nun das Gefühl, alles in ihm ziehe sich zusammen. Die flache Atmung, das schwitzen, das Pulsrasen. Das Zucken seines rechten Augenlids ging auch nicht mehr weg.Keinen der Termine auf seinem Kalender hatte er selbst dort eingestellt. 8 Stück waren es heute. “Call”, “Telko”, “jour fixe”, “Abteilungsleitermeeting”, “Bewerberlunch”, und am Abend durch die Zeitverschiebung noch 2 Überseemeetings im Videoraum.
Machtlose, ohnmächtige Fremdbestimmtheit
Er konnte weder entscheiden wann er am Morgen aufsteht, noch wann er nach Hause kommt. Die einzige Entscheidung, die er eigenverantwortlich treffen konnte, war zwischen drei Mahlzeiten zum Lunch zu wählen. Und selbst die wurden einem Dienstags (Veggie Day) und Freitags “Fisch” abgenommen.
Seinem Sohn hatte er schon mehrmals versucht zu erklären, was eigentlich sein Job ist. Als sein Handwerker dann vor ein paar Wochen die gleiche Frage nach seinem Job gestellt hatte, hatte dieser nach seiner Antwort auch nur ein murmelndes Kopfschütteln übrig.
Manchmal verstand er das alles ja selbst nicht.Einfach ausgedrückt bestand sein Tagesablauf aus 3 Dingen
A) Excel Tabellen erstellen oder ansehen
B) Mails lesen und schreiben
C) Mit anderen reden und gemeinsam A und B tun (wahlweise am Schreibtisch, in (virtuellen) Konferenzräumen über den Erdball verteilt oder seit kurzem in der neuen fancy “CTG Area” (Come together area).Aber dafür hatte er sonst alle Annehmlichkeiten. 2 Autos, Motorrad, Rennrad, E-Bike, die teure Golfausrüstung, 5 paar Laufschuhe, immer die neusten Elektronischen Helfer. Schlaftracker, Trainingstracker, Golfschwunganalyse, GPS Tracker (um den Weg von der U Bahn ins Büro und seine Runde mit dem Hund aufzuzeichnen) …
“Da musst du jetzt einfach durch”. In ein paar Jahren wäre er dann der jüngste Bereichsleiter in der Company.
Er musste nur “hungrig” genug sein, “in alle Richtungen Netzwerken” und die richtigen “Seilschaften” aufbauen.Das nächste was er sah, war die Tischplatte die von unten nach oben durch sein Gesichtsfeld kam.
Dann war da nichts mehr …