Lieber Silberrücken

das wird jetzt ein etwas emotionaleres Ding. Da brauche ich ein paar Sätze um dir zu antworten. Um meine Gedanken zu klären. Achtung, ich denke jetzt mal, während ich schreibe.

Vielleicht hilft es dir etwas.

PS: Das Wort „Silberrücken“ benutze ich natürlich geschlechterneutral und keineswegs abwertend 😉

(Auszug Wikipedia: Silberrücken sind Anführer ihrer jeweiligen Familie bzw. Gruppe, die bis zu etwa 30 Lebewesen umfassen kann. Sie tragen Verantwortung für den Zusammenhalt, die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Familie. Sie schlichten interne Konflikte und treffen alle notwendigen Entscheidungen…)

In den letzten Monaten habe ich vermehrt „Post“ bekommen.
Offene Worte von Leuten wie dir. Von Bewerbern, die sich nicht korrekt behandelt fühlen.

———————————- Auszug ———————————-

“ … habe ich (und auch andere) bei ihren Wettbewerbern ein wenig wertschätzendes Verhalten erleben müssen. Was mir / uns hierbei auffällt, ist, dass es zB keine oder nur nichtssagende Rückmeldungen gibt.
Deshalb meine direkte Frage heute an Sie. Da ich in diesem Jahr meinen 60. Geburtstag gefeiert habe, hat man dann noch die Möglichkeit auf eine gehobene Position? Ich beispielsweise plane nicht schon in 5 – 7 Jahren in den Ruhestand zu gehen …“

– Ein „Silberrücken“

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Vielen lieben Dank für eure offenen Worte.

Auch für mich persönlich und meinem Team sind Alter, Respekt, Wertschätzung ein großes Thema.

Es geht also ums Alter

Wann ist ein Kandidat / Mitarbeiter „zu alt“?

… und was bedeutet dieses „zu alt“ eigentlich??? Und kann man eigentlich „zu alt“ sein?

Ich habe diese Vorurteile auch:

  • Zu alt
  • Zu teuer
  • Zu eingefahren
  • Kann sich nicht mehr anpassen
  • Lernt nicht mehr dazu
  • Ist bestimmt oft krank
  • Unsere Kunden sind zu jung für so jemanden
  • Lässt sich bestimmt nicht von jüngeren führen
  • Geht eh bald in Rente
  • Ist nicht mehr leistungsfähig
  • Weiß zu viel/könnte mir gefährlich werden
  • Kennt sich mit den neuen Medien nicht mehr aus

Bis ich wieder eines Besseren belehrt werde und

  • ich von einer 69 jährigen beim Joggen überholt werde
  • ich am Abend in einer Runde mit 16 Leuten zusammensitzen und nicht merke, das ich der jüngste und der älteste 84 ist.
  • ich mich nicht Erinnenn kann, in den letzten 5 Jahren eine Krankmeldung von meinen „Silberrücken“ bekommen habe.
  • sehe wie jung meine Eltern und Schwiegereltern sind.
  • meine älteren Mitarbeiter dem Unternehmen in der aktuellen Krise mehrmals den Arsch gerettet haben (Danke)

Mein ältester Mitarbeiter ist über 70. Und das ich Ihn eingestellt habe war eine der besten unternehmerischen (und persönlichen) Entscheidungen, die ich getroffen habe. (Ich habe nichtmal seinen Lebenslauf ist mir gerade aufgefallen) 😉
Zwei weitere Mitarbeiter sind um die 60. Die anderen zwischen 19 und 31. Meine Frau und ich stehen mit 44 also dazwischen.

Unternehmen vs. Mitarbeiter

Beide Seiten tragen die Verantwortung.
Beide Seiten müssen sich bewegen.
Mutig sein und alte Denkweisen ablegen.

Der 22-jährige Personalreferent den Gedanken „Oh, das könnte mein Opa sein“.
Der 59-jährige Bewerber „Oh, das könnte mein Enkel sein“.

Reden wir mal über Geld!

„Ältere Mitarbeiter sind teuer“

Eins ist klar. Irgendwoher muss das Geld kommen.
Wenn jemand 4.000€ verdient, dann kostet er mich locker 5 – 6.000€ (Sozialabgaben, Steuern, Ausstattung, Arbeitsplatz …)

Wir Unternehmer haben eine soziale Verantwortung. Aber am Ende des Tages, muss es sich auch lohnen.

„Ich brauche ein Gefühl, das sich eine Einstellung lohnt – sonst lasse ich es sein. Sonst kann ich den Laden ja gleich dicht machen und das Geld spenden“
(Ein Kunde)

Machen wir uns nichts vor: Wir arbeiten, um Geld zu verdienen.
Und Firmen stellen Mitarbeiter ein, um zu arbeiten, damit das Unternehmen wiederum Geld verdient. Also ist es doch nur richtig, über Geld zu reden.

Kandidat A, 22 Jahre, Studienabschluss, nett, kompetenter Eindruck, jung: kostet 3.000€
Kandidat B 59 Jahre, Studienabschluss, nett, kompetenter Eindruck, nicht mehr ganz so jung: kostet 7.000€

Das sind 36.000 gegenüber 84.000€ pro Jahr und damit ein Unterschied von 48.000€!

Ich muss also als Unternehmer zu der Überzeugung kommen, das jemand 48.000€ mehr erwirtschaftet. Das sind pro Arbeitstag (ohne Urlaub und Krankheit) 240€ zusätzlich, die jemand erwirtschaften muss.

Was also tun?

Als Erstes gilt:

Es geht hier um Menschen

Ich bin der Meinung, dieser Satz gehört über jede Tür im Unternehmen genagelt.

Die ganzen Floskeln und tollen Sätze, die in irgendwelchen Hochglanzbroschüren stehen, die von irgendwelchen Unternehmensberatern entworfen wurden, die einen Tagessatz von 3.000€ bekommen, sind in meinen Augen alle für die Tonne.

„Unsere Kunden stehen bei uns an erster Stelle“???

Na toll. Wie fühle ich mich als Mitarbeiter, wenn ich zu hören bekomme, dass der Kunde wichtiger ist als ich?

„Chef, bin ich dir denn nicht wichtig?“

Angst, Neid und Ego

Sind die häufigsten Gründe, weshalb jemand nicht eingestellt wird.

  • der andere könnte besser sein. Mir gefährlich in meinem Job werden. (Angst, Ego)
  • das ich die falsche Einstellungsentscheidung treffe (Angst)
  • das jemand mehr verdient als ich das tue (Neid)
  • das jemand besser aussieht und ich nicht mehr der tollste Hecht im Teich bin (Neid, Ego)
  • das jemand zu teuer für die geplante Arbeit ist (Angst)
Check dein Ego, bevor du rein kommst

„Check dein Ego, bevor du rein kommst“

Was also tun???

NACHDENKEN HILFT

Klingt jetzt seltsam.
Kostet Zeit.
Ist anstrengend.

Ist alles richtig.

Aber am Ende des Tages gibt es nichts Machtvolleres.
Irgendjemand hat uns erfreulicherweise mit einem tollen Denkapparat ausgestattet.

Und wir…?
Wir lagern unser denken an Google aus, lassen andere für uns denken oder lassen es ganz sein.

Nachdenken als Kandidat:

Nachdenken darüber, was ich wirklich will und was ich brauche.
Nicht, was ich verdient habe, sondern was ich plane meinem Unternehmen wert zu sein.
Mein Ego außen vor lassen. Die Erwartungshaltung „ich muss so und so behandelt werden“ ablegen.
Natürlich freue ich mich auch über Respekt und Wertschätzung. Aber niemand ist dazu verpflichtet, dich so zu behandeln.

„Aber ich habe bisher 6-stellig verdient“ gilt nicht als Grund, dass es weiter so läuft.

Das kann auch bedeutet, das ich meinem Arbeitgeber finanziell entgegen komme.

Nachdenken ist anstrengend. Deshalb tun es die meisten von uns nicht. Aber ich muss mich einmal hinsetzten, am besten mit Papier und Stift, und darüber nachdenken:

  • Wie kann das Unternehmen und die Person die mich einstellt, direkt von mir profitieren?
  • Was bin ich bereit dafür zu tun?
  • Was konkret sind die nächsten Schritte?
  • Wo ist meine finanzielle Untergrenze?

Irgendjemand hat einmal das Gerücht in die Welt gesetzt:

Jahresgehälter müssen steigen – bis zur Rente??

Nachdenkenals Unternehmen:

Sie haben die Verantwortung! Ich weiß: Sie haben keine Zeit. Und nachdenken erfordert Zeit. Aber als der Mensch, der verantwortlich ist für die Einstellung eines Mitarbeiters, haben sie die eine ethische und wirtschaftliche Verpflichtung, sich über ein paar Dinge Gedanken zu machen. (Und nein „Wir brauchen einen neuen Mitarbeiter“ reicht als Grund bzw. Aussage nicht.) Stellen (besser beantworten) Sie sich bitte die Fragen:

  • Weshalb glaube ich, brauchen wir einen neuen Mitarbeiter?
  • Um welche Position geht es?
  • Was konkret erwarte ich von einem Mitarbeiter in dieser Position?
  • Woran merke ich, dass es sich um den richtigen Mitarbeiter handelt.
  • Wer genau profitiert von der Einstellung dieses Mitarbeiters in welcher Form?
  • Was kann jemand in dieser Position für das Unternehmen leisten und erwirtschaften? …

Zusammenfassung: Nachdenken und miteinander reden hilft beiden Seiten. Das ist nicht immer einfach und sicher nicht immer angenehm. Aber auf lange Sicht gibt es meiner Erfahrung nach nichts, was sich mehr auszahlt. Und hat man einmal damit angefangen, ist es gar nicht so schlimm 😉

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